Hat er es wirklich wieder geschafft? Ist Threads das neue Facebook? Ja, aber die Antwort ist komplexer und potenziell beunruhigender, als du vielleicht denkst. Mark Zuckerberg, der Architekt des größten sozialen Netzwerks der Welt, hat mit Threads einen neuen Vorstoß in die digitale Landschaft unternommen. Doch dieser Schritt ist kein bloßer Klon, sondern eine strategische Expansion, die das dezentrale Internet in Metas datenhungriges Ökosystem integrieren könnte. Es ist ein bekanntes Lied, das er wieder singt, und ja, er hat es wieder geschafft: Ein Netzwerk aufzubauen, in dem du deine intimsten Details offenbarst. Um die Ähnlichkeiten, die ich meine, aufzuzeigen und was genau das große Problem daran ist, müssen wir ganz von vorne anfangen.
The Facebook: Startschuss für die Datenkrake
Erinnerst du dich an die Anfänge von Facebook? Das war 2004, und es begann als kleines Projekt an der Harvard University, um Student:innen miteinander zu verbinden. Schnell wurde daraus ein globales Phänomen, das Milliarden von Menschen vernetzte. Doch mit dem Wachstum kam auch die Erkenntnis: Ein kostenloses Produkt finanziert sich nicht von selbst. Das Geschäftsmodell verlagerte sich schleichend – weg von reiner Konnektivität, hin zur Datensammlung und zielgerichteter Werbung. Deine Likes, deine Kommentare, deine Freundschaften, deine Interessen – all das wurde zu Datenpunkten, die ein immer detaillierteres Profil von dir zeichneten.
Der große Knall kam dann 2018 mit dem Cambridge Analytica Skandal. Plötzlich wurde der Öffentlichkeit brutal vor Augen geführt, wie Facebook-Nutzerdaten ohne deren explizite Zustimmung gesammelt und für politische Kampagnen missbraucht wurden. Das war der Moment, in dem vielen klar wurde: Die "kostenlose" Nutzung wurde mit persönlichen Informationen bezahlt. Und diese Informationen waren Gold wert – nicht nur für Werbetreibende, sondern auch für Akteure, die die öffentliche Meinung beeinflussen wollten. Es war der Weckruf, dass unsere digitalen Spuren viel mächtiger sind, als wir dachten.
Instagram und WhatsApp: Die Expansion der Datenmacht
Nach dem Erfolg von Facebook war Zuckerberg noch lange nicht satt. Er erkannte das Potenzial anderer aufstrebender Plattformen und schnappte zu: 2012 kaufte Meta (damals noch Facebook Inc.) Instagram für rund 1 Milliarde Dollar, und 2014 folgte WhatsApp für unglaubliche 19 Milliarden Dollar. Beide Plattformen versprachen ihren Nutzern zunächst eine gewisse Unabhängigkeit und einen Fokus auf ihre Kernfunktionen (visuelle Inhalte bei Instagram, private Nachrichten bei WhatsApp).
Doch mit der Zeit wurden sie immer tiefer in Metas Datenökosystem integriert. Auch wenn WhatsApp lange Zeit als "sicherer Hafen" galt, fließen Metadaten und Nutzungsverhalten letztlich in den großen Datenpool von Meta ein. Instagram wurde zum visuellen Werbeparadies, in dem deine Vorlieben und Interaktionen direkt für die Ausspielung von Anzeigen genutzt werden. Diese Akquisitionen waren entscheidend, um Metas Reichweite und damit seine Datensammelkapazitäten massiv zu erweitern und die Grundlage für das heutige Imperium zu legen.
Wie Threads entstand: Der neue Herausforderer für X (ehemals Twitter)
Erinnerst du dich noch an das Chaos rund um Twitter, als Elon Musk das Ruder übernahm? Viele haben die Plattform verlassen, genervt von den Änderungen und der allgemeinen Stimmung. Genau das war Metas Chance! Zuckerberg nutzte diese Lücke und dachte sich: "Hey, da bauen wir doch mal schnell was Eigenes!" und setzte vermutlich ein paar ungelernte Praktikanten an die Umsetzung.
Die Idee hinter Threads war simpel: Eine textbasierte Konversations-App, die direkt die riesige Instagram Nutzerbasis mit dem schnellen Kurznachrichtenformat von Twitter (jetzt X [swɒstɪkə]) verbindet. Man wollte eine "freundlichere" Alternative schaffen, die auf positive Interaktionen und Community-Aufbau setzt. Und ganz wichtig: Die über eine Milliarde Instagram-Nutzer sollten direkt angesprochen werden, um ihnen den Einstieg so einfach wie möglich zu machen.
Heute ist Threads ein ernstzunehmender Konkurrent für X, mit beeindruckenden Nutzerzahlen. Es will die Reichweite von Instagram mit der Echtzeit-Kommunikation eines Microblogging-Dienstes vereinen. Aber genau diese schnelle Expansion und die tiefe Integration in Metas bestehendes Imperium werfen wichtige Fragen auf, besonders wenn es um deine Daten geht.
Die unvermeidlichen Parallelen: Du und deine Daten als Produkt – "He did it again!"
Das Geschäftsmodell von Meta ist seit jeher glasklar und knallhart: Du, der Nutzer, und deine Daten sind das Produkt. Facebook und Instagram haben Milliarden gescheffelt, indem sie detaillierte Profile ihrer Nutzer erstellt und diese für hyper-personalisierte Werbung monetarisiert haben. Mit Threads sehen wir eine fast schon unheimliche Wiederholung dieser Strategie.
Threads sammelt eine gigantische Menge an Informationen über dich: deine Profildaten, Beiträge, Kommentare, Interaktionen (Likes, Shares) und technische Metadaten wie deine IP-Adresse. Jede deiner Aktivitäten auf der Plattform, jedes geteilte Detail, jede Vorliebe, die du durch Likes oder Kommentare offenbarst, trägt dazu bei, ein umfassendes digitales Abbild von dir zu erstellen.
Es sind diese oft intimen Details – sei es dein Beziehungsstatus, deine politischen Ansichten, deine Hobbys oder einfach nur deine täglichen Gedanken und Gewohnheiten –, die du freiwillig teilst, die dann wiederum genutzt werden (könnten), um dich als Werbeziel zu optimieren. Diese Daten sind der Treibstoff für Metas Werbegeschäft, das über 97% des Unternehmensumsatzes ausmacht.

Es ist ein bewährtes Modell, das nun auf eine neue Plattform übertragen wird, und Zuckerberg hat es wieder geschafft, ein soziales Netzwerk aufzubauen, das auf diesem Prinzip fußt.
Threads im Fediverse: Metas neues Jagdrevier?
Der vielleicht kühnste Schachzug von Meta ist die Integration von Threads in das Fediverse. Moment mal, Fediverse? Was ist das überhaupt? Stell dir das Fediverse wie viele kleine, unabhängige Social-Media-Inseln vor. Jede Insel hat ihre eigenen Regeln und Bewohner. Aber diese Inseln sind über gemeinsame Brücken – das ist das ActivityPub-Protokoll – miteinander verbunden. Du kannst von einer Insel zur anderen "reisen" und mit Leuten interagieren, auch wenn sie auf einer anderen Instanz sind. Das ist der Kerngedanke der Dezentralisierung.

Auf den ersten Blick wirkt Metas Schritt wie ein Zug in Richtung Offenheit und Interoperabilität – etwas, das man von einem zentralisierten Tech-Giganten kaum erwarten würde. Doch die Realität könnte eine andere sein.
Meta hat bereits eine Verbindung zu "über 75% aller Fediverse-Server" hergestellt und einen speziellen Feed für Fediverse-Inhalte in Threads eingeführt. Das ist nicht nur eine Netzwerkerweiterung, sondern eine massive neue Quelle für Daten. Indem Threads die Interaktionen seiner Nutzer mit Fediverse-Inhalten verfolgt, gewinnt Meta tiefe Einblicke in die Interessen, Interaktionen und das Verhalten einer riesigen, bisher unabhängigen Nutzerbasis. Diese erweiterten Datenpunkte werden höchstwahrscheinlich dazu verwendet, Metas Werbemodelle zu verfeinern und neue Einnahmequellen zu erschließen.
Es geht hier nicht darum, direkt Daten von Fediverse-Servern zu "stehlen". Vielmehr geht es darum, durch die Interaktionen der eigenen Threads-Nutzer mit dem Fediverse neue, wertvolle Einblicke zu gewinnen. Wenn ein Threads-Nutzer einem Mastodon-Nutzer folgt und dessen Beiträge in Threads sieht und damit interagiert, sind diese Interaktionen für Meta sichtbar und fließen in die Nutzerprofile ein, die dann für Werbezwecke genutzt werden. Es ist eine subtile, aber potenziell sehr wirksame Form der Datengewinnung aus einem bisher unerschlossenen Ökosystem.
Die Geister in der Maschine: KI-Bots und die Verbreitung von Falschinformationen
Deine öffentlichen Daten sind nicht nur für Werbezwecke wertvoll, sondern auch der Treibstoff für Metas ehrgeizige KI-Zukunft. Meta nutzt bereits öffentliche Posts, Fotos und Bildunterschriften von Facebook und Instagram, um seine KI-Dienste zu trainieren. Das passiert auf Basis eines "berechtigten Interesses", was bedeutet, dass du aktiv widersprechen musst, wenn du nicht möchtest, dass deine Daten verwendet werden. Einmal für das Training verwendet, ist es jedoch technisch nahezu unmöglich, die Daten aus dem KI-Modell zu entfernen.
Und jetzt kommt der Hammer: Meta hat die Einführung von KI-gesteuerten "Bot-Profilen" auf seinen Plattformen bereits angekündigt und ist aktiv dabei, diese zu trainieren! Diese Bots sollen Biografien und Profilbilder haben, Inhalte generieren und teilen können und menschliches Verhalten täuschend echt imitieren, um Interaktionen und Konversationen anzustoßen. Das Training dieser Bots erfolgt zwangsläufig mit den enormen Datenmengen, die Meta bereits besitzt, um sie möglichst "menschlich" und überzeugend wirken zu lassen.
Könnten (Meta-) Bots auch Fake News (ins Fediverse) streuen?
Theoretisch und praktisch: Ja, und das ist ein riesiges Problem! Da Meta sogar eigene Bots entwickelt, die Inhalte generieren und interagieren können, und diese Bots über Threads Zugang zum Fediverse haben, besteht ein klares Risiko, dass sie Falschinformationen verbreiten könnten. Historisch gesehen spielen Social Bots auf Plattformen wie Twitter (X) eine überproportional große Rolle bei der Verbreitung von Inhalten mit geringer Glaubwürdigkeit. Wenn Meta diese Fähigkeiten in seine eigenen KI-Bots integriert und sie mit dem Fediverse verbindet, ist das Potenzial für die Verbreitung von Fake News, Propaganda oder irreführenden Informationen im Fediverse real.
Gerade weil Meta plant, diese KI-Bots so zu gestalten, dass sie "menschliches Verhalten imitieren" und "Inhalte generieren und teilen, die durch KI auf der Plattform angetrieben werden", wird es immer schwieriger, den Unterschied zwischen einem echten menschlichen Nutzer und einem Bot zu erkennen. Das macht die Abwehr von Falschinformationen noch komplizierter.
Kampf um die Wahrheit: Wer checkt die Fakten im dezentralen Dickicht?
Die Situation der Faktenchecks ist komplex und ehrlich gesagt, ziemlich besorgniserregend:
- Meta-Plattformen (Facebook, Instagram, Threads): Meta hat sein Faktencheck-Programm in den USA beendet und plant, stattdessen auf ein System von "Community Notes" umzusteigen, ähnlich wie bei X. Das bedeutet: Die Verantwortung wird auf die Nutzergemeinschaft verlagert. Auch wenn das in Deutschland und Europa wegen des Digital Services Act (DSA) noch nicht unmittelbar geplant ist, zeigt der Trend klar, wohin die Reise geht. Für Threads heißt es zwar, dass Technologie und Community-Feedback genutzt werden, um Falschinformationen zu identifizieren, und dass mit Drittanbieter-Faktencheckern zusammengearbeitet wird – aber wie lange noch?
- Das Fediverse: Hier gibt es keine zentrale Faktencheck-Instanz. Die Moderation und Verifizierung von Inhalten liegt in der Verantwortung der einzelnen Instanz-Administratoren und ihrer jeweiligen Communities. Es gibt engagierte Einzelpersonen und Gruppen, die sich dem Faktencheck widmen, aber das ist dezentral und oft ehrenamtlich. Ein übergreifender, systematischer Ansatz fehlt.
Dein Kompass im Daten-Dschungel: Welcher Plattform kannst du noch vertrauen?
Das Vertrauen in Plattformen, wenn es um Faktenchecks und Offenheit geht, ist heute eine echte Herausforderung.
- Faktenchecks: Wenn du wirklich wissen willst, was Sache ist, setz auf unabhängige, journalistische Organisationen und spezialisierte Faktencheck-Websites. Denk an Correctiv, Snopes, Reuters Fact Check oder die ARD-Faktenfinder. Das Problem ist nicht, dass es keine guten Faktenchecker gibt, sondern dass ihre Erkenntnisse auf den großen sozialen Plattformen immer weniger sichtbar werden, weil die Plattformen ihre eigenen Programme zurückfahren.
- Offenheit: Wenn es um technische Offenheit und Dezentralisierung geht, ist das Fediverse per Definition offener als zentralisierte Plattformen. Die Protokolle sind offen, jeder kann eine Instanz betreiben, und es gibt keine zentrale Kontrolle über Inhalte oder Daten. Aber Achtung: "Offenheit" ist nicht gleich "Vertrauenswürdigkeit" bei der Inhaltsqualität. Die Offenheit bedeutet auch, dass es eine riesige Vielfalt an Moderationsstandards und Datenschutzrichtlinien der einzelnen Instanzen gibt.
Meine Empfehlung für dich:
Vertrauen sollte heute weniger einer "Plattform" als Ganzes entgegengebracht werden, sondern vielmehr:
- Unabhängige Faktencheck-Organisationen und seriösen Nachrichtenquellen: Diese arbeiten nach journalistischen Standards und sind nicht primär auf Werbeeinnahmen durch deine Daten angewiesen.
- Sorgfältig ausgewählte Fediverse-Instanzen: Wenn du dich im Fediverse bewegst, wähle eine Instanz, deren Moderationsrichtlinien, Datenschutzpraktiken und Community-Normen deinen Werten entsprechen. Mach deine Hausaufgaben!
- Deine eigene Medienkompetenz: In einer Welt, in der die Grenzen zwischen menschlichen Inhalten, KI-generierten Inhalten und gezielter Desinformation immer mehr verschwimmen, ist die Fähigkeit, Quellen zu überprüfen, deine Emotionen zu hinterfragen und den Kontext zu prüfen, wichtiger denn je.
Mark Zuckerbergs Schachzug mit Threads könnte also auch das Fediverse in eine Grauzone zwischen offener Dezentralisierung und datenhungriger Kommerzialisierung ziehen, die es für dich noch anspruchsvoller macht, zwischen Fakten und Fiktion zu unterscheiden.