Kapitel 6: Das Picknick

Kapitel 6: Das Picknick

Ich versuche erst einmal nur ein Auge zu öffnen. Nichts passiert. Ich versuche mich noch einmal komplett auf ein Auge zu konzentrieren, um das zu öffnen. Durch einen winzigen Spalt sticht grelles Licht "AUA" hör ich mich auch laut leiden. Wie in Zeitlupe wird die Sicht langsam klarer und… ich erkenne… nichts… nur weiß. Verwundert versuche ich auch das zweite Auge zu öffnen, gleiches Leid durch grelles Licht, jammern, langsam klare Sicht, alles weiß.

ICH… BIN… BLIND

will ich gerade losschreien, da höre ich aber deine Stimme hinter mir, wie ein Engel krächzen: "Mhhhsappel dooch nich soO!".

Ich reib mir die Augen, seh, dass ich direkt vor einer weißen Wand liege.

Links von mir ein Regal und rechts eine Ecke mit anschließendem Fenster.

Ich dreh mich um. Wieso liege ich falsch herum?

"Ja, ich fand es auch ziemlich lustig heute Nacht, oder, also heute Morgen" kicherst du.

Oh mist, ich glaube, ich kann mich nicht erinnern. Keine Panik, sage ich mir.

Was ist das Erste, woran du dich erinnerst, frag ich mich.

In einer windigen kalten Nacht, so gegen halb 4 Morgens erblickte … halt nicht das Erste, was ist das Letzte, woran ich mich erinnere?

Hmm also Date, Café, Restaurant, Bar, Club,… ich … Ich war tanzen, das kann nichts Gutes bedeuten.

Innerlich kurz davor, in Panik zu geraten, grummelst du: "Wie viel Uhr ist denn überhaupt?"

Wo ist mein Handy, überleg ich, Hosentasche, Hose, wo ist meine Hose? Ich greife unter die Bettdecke.

Keine Hose! …

Ich weiß nicht, ob du mich beobachtest und dich dabei köstlich amüsierst, aber ich renne gerade vor einem Herzinfarkt davon, direkt in die Arme des Nächsten. Immerhin habe ich noch meine Boxershorts an. Ich schaue, ob die Hose neben dem Bett liegt und sehe die Hose bei der Bewegung im Augenwinkel direkt neben der Zimmertüre liegen. Die muss ich wohl heute Morgen auf dem Weg ins Bett direkt verloren haben, überlege ich leichtgläubig. Aber dein Kleid liegt dort auch, bist du etwa… Ich dreh mich zu dir.

In diesem Moment setzt du dich auf die Bettkante, mit dem Rücken zu mir. Du… Du bist ja… nackt. Ich bemerke, wie ich dich anstarr und du bemerkst es offensichtlich auch. Da drehst du den Kopf zu mir, über deine Schulter und kicherst: "Warum so schüchtern auf einmal?"Ich schmeiß mich mit meinem Oberkörper so gut es eben im Sitzen geht zu dir nach vorne und versuch dich mit meinen Armen zu greifen, doch in dem Moment springst du lachend auf. Splitterfasernackt stehst du nun in deinem Zimmer.

Peinlich berührt von all dieser Nacktheit hier im Raum und diesen seltsamen Spuren auf deinem Rücken, ich versuche mich auf die Schnelle daran zu erinnern, ob wir gestern durch irgendwelche Büsche oder sonst etwas gekrochen sind. Aber vermutlich sind sie schon älter und du hast mir gestern einfach nur so den Kopf verdreht, dass ich sie übersehen hatte. Aber ich schweife schon wieder ab. Von deiner offenen Art überwältigt, wende ich meinen Blick schnell von dir ab nach oben in die Zimmerecke.

"Ich gehe duschen, brauchst du auch ein Handtuch?" fragst du, während du zur Tür gehst."Oh ja, das wäre super, ne Dusche könnte ich gut gebrauchen" antworte ich dir, während ich weiter in die Ecke starre, um ja keine nackte Haut in mein Blickfeld zu lassen. Du gehst aus der Tür, den Flur entlang. Ich reibe meine Augen, mit dem Gefühl, das wäre alles nur ein Traum, versuche ich doch noch einmal einen Blick zu erhaschen. Wow, du trägst deinen nackten Körper stolz, als wäre er von Prada oder Gucci … und dieser Hintern …

Mit einem Schlag falle ich aus dem Bett.

Ich höre dich laut loslachen."Nichts passiert", ruf ich. "Ich hab nur … also ich wollte … und ich hab nicht … also nur kurz … aber nichts passiert!""Kommst du jetzt mit unter die Dusche oder soll ich dir dein Handtuch rauslegen, wenn ich fertig bin?""Aber also und aber mit ohne…" stammel ich, während mein Körper ohne mein Zutun dem Klang deiner Stimme über den Boden robben folgen möchte. Mit meinen Beinen noch halb im Bett steh ich auf und versuche mir nichts anmerken zu lassen, dabei zählt dieses akrobatische Kunststück mit Sicherheit zu irgendeiner olympischen Sportart.

Im Fall versuche ich mich zu fangen und mir nichts anmerken zu lassen. Das Gepolter, mein Fluchen und Schimpfen hast du mit Sicherheit nicht gehört, denn du warst ja gerade damit beschäftigt, so unbeschreiblich schön auszusehen, beim Flur entlang laufen zu, als wärst du Kleopatra auf dem Weg zu deinem Milchbad."Ah okay, ja mhm" ich streife mit einer Hand über die Duschwand, betrachte sie dabei, als wäre sie etwas ganz Außergewöhnliches, bewusst von deinem wunderschönen nackten Dir abgewandt.

Du streckst mir ein frisches, blumig duftendes Handtuch entgegen, genau so, dass meine Sicht auf deinen Körper verdeckt wird. Ich dreh mich zu dir und … du lässt das Handtuch fallen.

Einige (kurze) Zeit später …

Ich nehme das Handtuch und trockne mich ab. Wer oder was bist du, frag ich mich, während ich mir die Haare so grob trocken rubbel. Na ja, die eigentliche Frage ist doch, wo warst du nur all die ganze Zeit, überleg ich.

"Brauchst du immer so lange? Also rein aus Interesse, worauf ich mich so einstellen müsste, rein theoretisch, weißt du?" hör ich es dumpf durch die Türe.

"Autsch!", würde hier ein Schiedsrichter auf dem Porzellan-Thron sitzen, wäre das ein klarer Tiefschlag gewesen, denke ich mir. Weiter vertieft in Gedanken: "Ich mein, ja, ich bin auch nicht mehr der Jüngste und …"

"Los komm, meine Erdbeeren warten", dann rumpelst du zur Tür herein. "Und ich darf an deine Trauben, mit denen du so tun kannst, als hättest du sie mitgebracht"

Du stehst schon an der Tür und wartest auf mich und streckst mir die gepackte Picknick Tasche hin: "Hier, du trägst sie wenigstens!""Äh selbstverständlich", nehme ich eingeschüchtert die Tasche entgegen, wodurch diese anscheinende Selbstverständlichkeit alles andere als, naja, eben Selbstverständlich aussah. Mein fragender Blick ist ebenfalls eben nicht jener schlechten Manieren geschuldet, sondern der Frage, die mir dann auch endlich über die Lippen kam "Und wofür jetzt genau brauche ich die Flip Flops deiner Mitbewohnerin?"

"Schaffst du es, einmal deinen Kopf auszuschalten?" schiebst du mich lachend durch die Tür.

"Na aber ich weiß ja gar nicht, "

"DANN weißt du eben einmal nicht, reicht, wenn ich es weiß. Halt die Klappe, küss mich und dann nach der Tür rechts" unterbrichst du mich direkt, bevor ich meinen Unmut über Heimlichkeiten und Überraschungen kund tun konnte. Nach der Tür rechts. Aber also bin ich überrascht vom Umgangston oder gefällt mir das, überlege ich. Dabei muss ich doch wohl ziemlich seltsam aussehend angeschmachtet haben, da du laut los lachst.

"Bist du noch betrunken?", fragst du kichernd. "Oder war ich dir eben etwas zu schroff? Heute Nacht hats dir aber gefallen"Lachend stößt du mir deinen Ellenbogen in die Rippen."Was war noch mal Option 1", rutschte es mir blöderweise laut heraus.Während wir seltsamerweise offensichtlich im Kreis laufen, erzähle ich dir weitere Details aus meinem Leben und wieso ich offensichtlich Probleme habe, wenn ich nicht wenigstens weiß, wohin die grobe Richtung der Reise geht."Tada" rufend drehst du dich freudestrahlend mit einem Sprung um.

Ich leg den Rucksack auf die Wiese und hol die Picknickdecke heraus.

"Ta DAAAA hab ich gesagt" wiederholst du dich dieses Mal sehr bestimmt und nicht mehr halb quiekend vor Freude.

"Oohaaa wie schön es hier ist", entgegne ich übertrieben energisch. "Wiese und Bäume", werd ich immer leiser und langsamer "also Natur", inzwischen monoton. "Können wir das gleich machen? Ich bin alt, ich bin verkatert, hier ist es hell, ich muss aufrecht gehen und dann auch noch atmen", jammere ich fast etwas zu ernst.

"Los, setz dich hin", zeige ich auf die etwas schief liegende Picknickdecke.

Ich lass mich auch auf die Decke fallen, natürlich möglichst elegant und, natürlich, vergebens.

"Uuuuuuuiiiiii" spielst du übertrieben überrascht und ziehst Trauben aus der Kühltasche. "Du hast ja Trauben mitgebracht".

Habe ich das?, frage ich mich.

Du ziehst neben deinen angekündigten Erdbeeren auch geschnittene Gurken, eine Tupper mit selbstgemachtem Hummus, wie du mir stolz erzählst, und… ein metallenes Gefäß, welches einem nuklearen Transportgefäß ähnelt.

Oder, naja, es könnte auch einfach nur eine Thermoskanne sein.

"Hier, nimm direkt mal einen kräftigen Schluck. Das hilft gegen deinen Kater!", streckst du mir die Nuklear äh ich meine die Thermoskanne entgegen.

Gierig nach dem Zaubertrank gies ich mir großzügig ein. Während wir die ganzen mitgebrachten Köstlichkeiten in jeglichen Kombinationen vernaschen, erzählst du von deiner aktuellen Stelle und wie du dann weiter Schritt für Schritt deinen Zielen näher kommst.

Verdammt, denk ich mir.

Ich hätte mir Notizen machen sollen. Kurz muss ich aufpassen, um nicht wirklich mit den Augen zu rollen. Wie soll man sich denn da auf das Gesagte konzentrieren, versuche ich noch, mir selbst die Schuld abzusprechen, während ich mich schon wieder in deiner Schönheit verliere. Wie malerisch du erzählst, mit Gestik und Mimik, und hin und wieder sogar etwas Körpereinsatz. Allein das Strahlen in deinem Gesicht, während du davon erzählst und das Leuchten in deinen Augen, könnten mich für ewig in den Bann ziehen.

Ich hoffe beim nächsten Treffen werden diese Inhalte nicht abgefragt, weder mündlich noch schriftlich. Wobei ich im mündlichen Teil wenigstens einiges mehr an Erfahrung mitbringen könnte, um mein Engagement und meinen Willen zur Besserung zu vermitteln.

"Hast du jetzt schon alles aufgegessen", reist du mich aus meinen Gedanken.

"Ich war's nicht", rutscht es mir ohne zu überlegen raus. "Ich hab noch nicht herausgefunden was, aber ich bin dem auf der Spur", werfe ich schnell hinterher, damit es den Anschein macht, der Witz wäre Absicht gewesen.

Was ich nun aber ebenfalls bereue.

"Wir sind doch erst seit 10 Minuten hier" wirst du wieder etwas schroffer. Panisch kram ich mein Handy heraus.

"Moment…" Stopp ich "seit wann sind wir denn überhaupt da?" frage ich, während mir auffällt, dass ich schon seit Monaten oder gar Jahren nicht mehr so entspannt und losgelöst von Terminen und Zeit war.

Lachend versuchst du erkennbare Laute von dir zu geben "Kahahaeine ahahahnung,… aber zwei oder drei Stunden bestimmt" lachst du.

Bin ich eingeschlafen?

"Dein Gesicht hätte, dass du sehen sollen", klopfst du mir lachend auf den Schenkel.

"Und es ist wirklich nichts mehr zu essen da?", frage ich enttäuscht.

"Natürlich ist noch was da", kicherst du, als hättest du darauf gewartet. "Brot und Spiele, mehr braucht Mann nicht" murmelst du dabei.

"Und aber, also ähm" stammel ich, "eingeschlafen bin ich aber nicht?" Wobei mir ja nur die Tonspur fehlt, gestehe ich lautlos und nur mir gegenüber. Mit der Erinnerung an dein Strahlen merke ich, wie ich mich wieder langsam in deinem Anblick verliere.

Als würde ich … wie in einen Strudel gezogen …

Ich springe nach hinten auf. "HEXE!", platze ich aus mir raus, als ich hinter der Decke auf meinen Füßen gelandet bin.

"Du hast mich verzaubert", mit ausgestrecktem Zeigefinger deute ich auf dich. "Das ist Magie" lach ich los, "Teufelsweib" schimpfe ich freudig weiter "Du räuberst mir meinen wertvollen Schlaf!". Plötzlich mit vollkommen ernster Stimme schau ich dir tief in die Augen, während ich dir fast schwebend in Zeitlupe immer näher komme.

Mit tiefer dunkler Stimme sag ich "Eine Schuld…" gebannt hältst du dem Blick stand, nur noch etwa einen Meter von dir entfernt, "..., die stets beglichen werden muss", nicht grinsen, niiiiicht grinsen, and the Oscar goes tooooo, ich schweif ab, nicht grinsen.

Weiter mit todernster Miene dreh ich mich um und leg mich auf den Rücken, meinen Kopf lege ich dabei auf dir ab. "Und jetzt Kopf kraulen, damit ich Schlaf nachholen kann", zufrieden grinsend schließ ich die Augen. "Äh bitte" ergänze ich.